Nehmen wir das Beispiel eines Ehepaars, welches fünf Jahre vor der Pensionierung steht, ein Haus besitzt und kürzlich CHF 120‘000 geerbt hat. Auf der Immobilie lastet eine zehnjährige Hypothek über CHF 450'000, die in sechs Monaten ausläuft. Jetzt stellt sich das Paar in Anbetracht der gestiegenen Zinsen die Frage, ob die Hypothek verlängert oder mit dem Erbe beziehungsweise einem Bezug von Altersguthaben teilweise oder vollständig amortisiert werden soll.
Werden diese Fragestellungen isoliert betrachtet und beantwortet, ergeben sich oft suboptimale Resultate, die im Nachgang nicht oder nur sehr kostspielig korrigiert werden können. Im aktuellen Zinsumfeld scheint es nämlich naheliegend, Erbe und Altersguthaben für die Amortisation der Hypothek einzusetzen, um im Hinblick auf die Pensionierung sowohl Belehnung als auch Zinslast zu reduzieren. Der Entscheid schafft vermeintlich mehr Unabhängigkeit und Freiheit.
In einer unabhängigen Beratung wird die Gesamtsituation ganzheitlich betrachtet: Das Paar unterschreitet die Belehnungsgrenze von 65 Prozent bei Pensionierung bereits heute. Entsprechend tut eine Amortisation nicht Not und erhöht die Steuerlast aufgrund der tieferen Zinsabzüge unnötig. Wenn dazu noch Pensionskassenkapital eingesetzt wird, verringert sich zudem das Renteneinkommen, was weitere Einschränkungen in Bezug auf die späteren Lebenshaltungskosten, Reisewünsche oder Hobbies bedeutet. In Summe sind die finanziellen Unterschiede zwischen Beibehaltung der Hypothekarhöhe und Amortisation möglicherweise sehr gering, der zukünftige Handlungsspielraum aber nach Amortisation deutlich kleiner.
Eine Teilamortisation hat zudem die Nachteile, dass kleine Hypothekarsummen für viele Anbieter weniger interessant sind, eine kleinere Auswahl von Finanzierungsinstituten zur Verfügung steht und die Konditionen in der Regel schlechter sind.
«Bei gesamtheitlicher Betrachtung wird man des Öfteren zum Schluss kommen, dass es sinnvoller ist, die Hypothek zu verlängern, als den zukünftigen finanziellen Handlungsspielraum durch eine Amortisation zu verspielen.»
Das Paar sollte deshalb prüfen, ob das Erbe nicht besser direkt ins Eigenheim investiert wird. Entweder in Form von werterhaltenden Investitionen, die auf mehrere Jahre verteilt werden können, um so einen steuerlichen Vorteil zu erwirken. Oder, falls das Haus verkauft werden soll, in wertsteigernde Investitionen wie Aussendämmung oder Photovoltaik-Anlage. Energetische Massnahmen werden häufig sogar noch staatlich subventioniert. Eine dritte Option wäre, das Haus, um beispielsweise eine Einliegerwohnung zu erweitern und so durch die Vermietung zusätzliches Einkommen zu generieren. Wer nicht ins Eigenheim investieren möchte, könnte das Erbe alternativ auch am Kapitalmarkt anlegen und mit den Erlösen einen Teil der Hypothekarzinsen bezahlen. So kann das Paar das Vermögen situationsgerecht einsetzen und sich gleichzeitig den finanziellen Handlungsspielraum bewahren.
Bei gesamtheitlicher Betrachtung wird man zum Schluss kommen, die Hypothek zu verlängern. Das Zinsumfeld soll dabei berücksichtigt werden, den Entscheid aber nicht dominieren. Bei Angst vor steigenden Zinsen kann man bei vielen Anbietern sechs bis zwölf Monate vor Ablauf ohne Aufpreis die Konditionen anbinden. Und sollten Verkaufsabsichten bestehen, gibt es Anbieter von Festhypotheken, welche bei Verkauf der Liegenschaft einen kostenlosen Ausstieg ermöglichen oder eine fixe Pauschale erheben. Auch eine Saron-Hypothek käme allenfalls in Frage. Allerdings ist diese derzeit vergleichsweise teuer und man nimmt ein erhöhtes Zinsänderungsrisiko in Kauf. Das Erbe könnte in diesem Fall aber als Kapitalreserve genutzt und bei stark steigenden Zinsen zur Amortisation eingesetzt werden.
Es wäre schade, wenn das Paar, gerade im Hinblick auf die Pensionierung, all diese Überlegungen unterliesse und stattdessen den Entscheid nur auf ein paar Basispunkte – mehr oder weniger auf den Hypothekarzins – abstützte. Der Blick aufs Ganze lohnt sich.