20. März 2017, Text, Fotos und Video: Katrin Meier
Gut eingepackt, vor Licht und Zerfall geschützt, liegt jedes einzelne der 160 Skizzenbücher von Ernst Ludwig Kirchner im Archiv des Kirchner Museum Davos. Wenn überhaupt, darf man die alten Wachstuchhefte nur mit Handschuhen anfassen. Ausgestellt werden sie selten – und wenn, dann in einer Vitrine. Dabei beherbergen die unscheinbaren Hefte einen Schatz von grosser kunsthistorischer Bedeutung: Die rund 11'000 Skizzen und Notizen stellen die Grundlage dar das Werk des Künstlers Ernst Ludwig Kirchner. Ein Schatz, der nun gehoben wird: Seit Sommer 2016 läuft die Aktion «Digitalisierung». Ziel ist, die Skizzen einem breiten Publikum und natürlich auch der Wissenschaft zugänglich zu machen.
Für die Digitalisierung verantwortlich ist Registrarin Annick Haldemann. Sie ist überzeugt, dem kunstinteressierten Publikum mit dem digitalen Werk einen grossen Mehrwert zu bieten: «Wir können so aufzeigen, was eigentlich die Basis war von Kirchners Schaffen. Am Anfang seiner Gemälde, Druckgrafiken und Skulpturen stand oft eine Skizze, die sich weiterentwickelt hat.»
Für das Digitalisierungsprojekt konnte das Kirchner Museum Davos dank der Unterstützung von Helvetia Art Sponsoring einen Hochleistungsscanner kaufen. «Herrin des Scanners» ist die wissenschaftliche Mitarbeiterin Julia-Sophie Syperreck. Die 27-Jährige übernahm das Digitalisierungsprojekt direkt nach ihrem Studienabschluss an der Universität Oldenburg (Norddeutschland). «Das Scannen muss sehr schonend passieren», erklärt Syperreck. Vorsichtig faltet sie das säureresistente Einschlagpapier auf, hebt ein Skizzenbuch aus der Schachtel und legt die erste Doppelseite auf den Scanner. Mit dem Abspeichern des Bildes ist es aber noch nicht getan: «Im zweiten Schritt geht es darum, die Dateien mit Metadaten zu versehen und wissenschaftlich zu erschliessen. Die Notizen zu entziffern, ist bei Kirchners sehr schwer lesbarer Handschrift manchmal eine grosse Herausforderung!»
Sind die Werke erst einmal fertig digitalisiert, kann jeder darin «blättern» – zum Beispiel auf einem Tablet. Bis dahin wartet viel Fleissarbeit auf Julia-Sophie Syperreck – die sich aber lohne: «Die Digitalisierung ermöglicht überhaupt erst wissenschaftliche Forschung und erlaubt einen ganz neuen Blick auf die Werke von Kirchner.» Insgesamt zwei Jahre dauert es, bis alle Skizzen gescannt, jede Bilddatei nummeriert und richtig zugeordnet und alle Verweise und Beschreibungen im System erfasst sind. «Und plötzlich kann man Verknüpfungen zwischen Kunstwerken herstellen, die vorher gar nicht sichtbar waren», sagt Syperreck. «Darauf freue ich mich am meisten.»
Das Digitalisierungsprojekt im Kirchner Museum Davos findet seinen Abschluss mit einer Ausstellung im Jahr 2019.
Nebst dem Kirchner Museum Davos unterstützt Helvetia mit Art Sponsoring Digitalisierungsprojekte in den Kunstmuseen Bern und Luzern. Im Kunstmuseum Bern wird der gesamte Nachlass der Schweizer Künstlerin Meret Oppenheim digitalisiert, im Kunstmuseum Luzern nicht mehr abspielbare Videos aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Zum Abschluss der Digitalisierungsprojekte zeigt jedes der drei Museen eine Ausstellung mit Fokus auf die digitalisierten Werke.